IX. Rangstruktur, Kompetenzbereiche und Aufgaben

 

a) Hohe Offiziere

   An der Spitze der Legion stand der Legionslegat (legatus legionis). Dieser kam aus dem Senatorenstand (ordo senatorius) und war in Provinzen mit nur einer Legion – wie z.B. Raetien oder Noricum – gleichzeitig der Provinzstatthalter. Da der Statthalter Raetiens sein Hauptquartier nicht bei der Legion hatte, sondern in der Provinzhauptstadt Augsburg, wurde die Legion in seiner Abwesenheit effektiv vom Legionspräfekten kommandiert (praefectus castrorum legionis – eigentl. „Legionslagerpräfekt“, bzw. später einfach praefectus legionis).

   Die Legionspräfekten gehörten zum Ritterstand (ordo equester), und waren, im Gegensatz zum Legionslegaten, meist Berufssoldaten die sich durch ihre eigenen Leistungen hochgedient hatten. Der Legionspräfekt hatte in der Regel alle Hände voll zu tun, da er die oberste Organisationsinstanz der Legion war. Er kontrollierte die Instandhaltung des Lagers, die Magazinverwaltung, die Bewirtschaftung des Legionsterritoriums (territorium legionis), die Versorgung mit Wasser, Brennholz und Lebensmitteln, die Produktions- und Reparaturwerkstätten (fabricae), den Versorgungstross, sowie den Dienstablauf und die Wacheinteilung. Diese Organisationsaufgaben wurden natürlich nicht alle vom Präfekten persönlich ausgeführt, aber die Fäden liefen bei ihm zusammen. Nachdem Gallienus zwischen 260 und 268 n.Chr. Senatoren vom Militärdienst ausgeschlossen hatte, wurden die Legions-präfekten auch offiziell zum Befehlshaber ihrer jeweiligen Legion (vgl. z. Legionspräfekten auch Vegetius 2, 9 u. 10).

 

   Zum Stab der Legion gehörten auch 6 Tribunen, von denen einer aus dem Senatorenstand kam (tribunus militum laticlavius – „Militärtribun mit dem breiten [Purpur]Streifen“). Senatorische Militärtribunen waren meist noch sehr jung, etwa um die 20 Jahre, und hatten ihre Posten nur für etwa ein Jahr, bevor sie ihre Karriere anderweitig fortsetzten, gelegentlich auch in militärischer Hinsicht. Rangmäßig stand der senatorische Militärtribun gleich unter dem Legionslegaten, dessen Stellvertreter er in der Theorie war. Damit stand er auch über dem Legionspräfekten. Tatsächlich aber hatten senatorische Militärtribunen nur sehr wenig Erfahrung und befanden sich eher in einer Art Militärpraktikum für angehende Senatoren. Iulius Agricola wurde von seinem Schwiegersohn Tacitus später dafür gelobt, in seinem Militärtribunat die Zeit nicht wie viele junge Senatorensöhne mit Ausschweifungen (in lasciviam) und  Vergnügungen verschwendet zu haben.

   Die übrigen 5 Legionstribunen kamen aus dem Ritterstand (tribuni angusticlavii – „Militär-tribunen mit dem schmalen [Purpur]Streifen“). Im Gegensatz zum senatorischen Militär-tribunen hatten sie bereits militärische Erfahrung, da in der ritterlichen Karrierelaufbahn erst das Kommando über eine Auxiliareinheit kam, und dann erst der Einsatz in einer Legion. Nach dem Ausschluss der Senatoren vom Militärdienst wurde der senatorische Militärtribun vielleicht von einem sechsten ritterlichen Tribun ersetzt. Die Tribunen wurden dann aber zunehmend durch hochgediente praepositi (Abteilungskommandanten) ersetzt.

 

  Das sogenannte Terentius-Fresko (entstanden spätestens 239 n.Chr.) aus Dura-Europos in Syrien lässt noch die Ranginsignien eines tribunus erkennen. Dargestellt ist Iulius Terentius, der Tribun der XX. Palmyrenerkohorte, bei einer Opferzeremonie. Begleitet wird er von weiteren Offizieren (Centurio? Priester?), Unteroffizieren (vexillarius) und Mannschaften (?). Auf dem Fresko trägt der Tribun einen weißen Umhang mit Purpurfransen, und als einziger einen roten Gürtel und einen roten Schwertgurt. Der Rest der Gruppe trägt braune oder schwarze Gürtel und Schwertgurte, sowie braune Umhänge. Eine Ausnahme ist der Centurio.

 

   Die weißen Tuniken mit den Purpurverzierungen an Ärmel, Bund, Hals und Schultern waren dagegen kein Rangsymbol, da sie im Bild von der ganzen (?) Gruppe getragen werden, und sogar eine Kindertunika mit derartigen Verzierungen gefunden wurde. Stattdessen ist hier wohl die Festtagskleidung für besondere Anlässe dargestellt.

 

Abb.9: Offiziere und Mannschaften (?) der COH XX PALMYRENORUM aus Dura-Europos beim Opfer.

(Bild von: http://www.le.ac.uk/ar/stj/terentius.jpg, mit der freundlichen Genehmigung von Simon James )

 

b) Offiziere (centuriones)

   Zwischen den senatorischen und ritterlichen Offizieren sowie den unterschiedlichen Mannschaftsdienstgraden standen die Centurionen. Der Begriff Centurio wird heute manchmal mit „Hauptmann“ gleichgesetzt, doch ist dies unzulässig, da es unter den Centurionen wieder Rangunterschiede gab, und die Spitzencenturionen einer Legion die übrigen Centurionen nach Gehaltsstufe und Befehlsgewalt z.T. weit übertrafen.

 

   Zu einem Centurio gehörten ebenfalls bestimmte Ranginsignien. Die vitis war ein Stab aus einem gekrümmten Weinstock, der sich gut zum Verprügeln der Soldaten eignete. Im 3.Jh. scheint dieser gekrümmte Stab allmählich von geraden Stäben mit einem Knauf am Ende verdrängt worden zu sein (s.o. Abb. 4). Auf dem Helm trug der Centurio einen quergestellten Helmbusch (Vegetius 2, 13 u. 15), doch verschwand dieser vielleicht schon im 2.Jh. Was ihn ersetzte weiß man nicht (vielleicht ein rot gefärbter Roßschweif?). Ein Paar verzierter Beinschienen gehörte ursprünglich ebenfalls zur Centurionenausrüstung, doch konnte auch die ‚superschwere’ Legionsinfanterie mit Beinschienen (und Armpanzerung) ausgerüstet sein (Dig. 49, 16, 14). Wie die Mitglieder des Ritterstandes trugen auch Centurionen einen Goldring (anulus aureus). Damit gehörten sie allerdings nicht automatisch zum Ritterstand, und seit Septimius Severus bekamen sie in dieser Hinsicht Konkurrenz, denn nun durften auch die principales (s.u.) einen Goldring tragen. Ebenfalls seit Septimius Severus hatten Centurionen die Möglichkeit, außerhalb des Lagers zu wohnen, also in einer geräumigeren Unterkunft und zusammen mit ihrer Familie.

   Das Terentius-Fresko zeigt einen Soldaten mit einem weißen Umhang (aber ohne Fransen wie beim Tribun) und einem braunen Stab (s.o. – 2. Pers. v. rechts). Da die übrigen Soldaten – mit Ausnahme des Tribuns – alle einen braunen Umhang tragen, scheint der Soldat mit dem weißen Umhang und dem Stab ein Offizier zu sein, höchstwahrscheinlich ein Centurio. Die Bedeutung der beiden purpurfarbenen Hakenkreuze auf der weißen Tunika (auf dem Fresko inzwischen nur noch schwach zu sehen) ist unklar.

 

   Im gesamten Imperium gab es annähernd 2000 Centurionen, wobei in jeder Legion insgesamt 59 Centurionen tätig waren. Da eine normale Kohorte aus 6 Centurien (bzw. drei Manipeln) bestand, gab es auch 6 Centurionen pro Kohorte. Der oberste Centurio einer Kohorte war der centurio pilus prior. Ihm folgten von oben nach unten der pilus posterior, der princeps prior, der princeps posterior, der hastatus prior und schließlich der hastatus posterior, der die unterste Centurie einer Kohorte befehligte. Die Kohorten der Legion waren von 1 – 10 durchnummeriert, und der centurio decimus hastatus posterior war der „Zweite Centurio des 3. Manipels der 10. Kohorte“.

 

   Eine Sonderstellung nahmen die Centurionen der 1. Cohorte ein, die centuriones primi ordinis („Centurionen des 1. Ranges“), oder einfach primi ordines. Da die 800 – 1000 Mann starke I. Kohorte aus fünf Centurien mit je doppelter Mannschaftsstärke bestand, gab es in der I. Kohorte auch nur fünf Centurionen, und nicht wie üblich sechs. Während normale Kohorten im I. Manipel den pilus prior und den pilus posterior hatten, gab es bei der I. Kohorte in dieser Position nur den primus pilus („Erster Spieß“). Zu seiner Centurie gehörte auch der aquilifer (Adlerträger). Früher vermutete man, der primus pilus wäre lediglich eine Art Sprecher der übrigen Centurionen beim Kommandanten gewesen, tatsächlich hatten die primipili aber sehr wichtige Aufgaben im Bereich der Logistik und kümmerten sich u.a. auch um den Einzug von Naturalsteuern für die Heeresversorgung. Der Rang eines primus pilus war extrem begehrt. Sein Träger hatte diese Position zwar nur für ein Jahr, erhielt aber einen enorm hohen Sold, und wurde danach in den Ritterstand aufgenommen. Danach konnte der ehemalige primus pilus auch zum praefectus castrorum befördert werden, unter Umständen eine Position in der Stadtgarnison Roms einnehmen (also bei den cohortes vigilum oder den cohortes urbanae), oder er konnte sogar hoher Offizier in der Prätorianergarde werden. Anschließend bestand sogar die Möglichkeit, eine ritterliche Präfektur zu bekommen, z.B. das Kommando über eine der in Ägypten stationierten Legionen, oder sogar procurator einer Provinz zu werden. Prinzipiell bot eine Armeekarriere also die Möglichkeit, sich vom einfachen Soldaten bis in die höchsten Positionen des Reiches hochzudienen. Ein derartiger Aufstieg glückte wohl nur den wenigsten, es sind aber Beispiele überliefert.

 

   Primipili konnten anscheinend auch übergeordnete Kommandos wahrnehmen. Valerius Claudius Quintus, ein primuspilus der Leg II Ital war – anscheinend gleichzeitig – auch dux leg(ionis) III Ital(icae) sowie dux et praep(ositus) leg(ionis) III Aug(ustae)(CIL III 4855).

 

   Centurionen verbrachten normalerweise nicht ihre ganze Karriere bei einer Legion, sondern wurden oft versetzt (und dabei befördert). Eine Inschrift aus Tarraco in der Provinz Hispania citerior (CIL II, 4162) nennt einen Centurio der Leg III Ital namens L. Numerius Felix, der vorher schon Centurio in der VII Gemina, der XX Victrix, der III Cyrenaica und der XXII Primigenia war.

 

 

 

c) ‚Unteroffiziere’ (principales)

   Unterhalb der Centurionen kam die Schicht der sogenannten principales. Diese waren wegen ihres Ranges vom Grunddienst befreit und hatten seit Septimius Severus ebenfalls das ius anuli, d.h. sie durften einen goldenen Ring tragen (wie der Centurio). Principales erhielten entweder den dreifachen, den doppelten oder zumindest den eineinhalbfachen Grundsold (triplicarii, duplicarii bzw. sesquiplicarii = „Dreifachsöldner“, „Doppelsöldner“ u. „Anderthalbsöldner“).  Wer alles zu den triplicarii gehörte, ist nicht klar. Zu den sesquiplicarii gehörten z.B. die tesserarii („Parolesoldaten“), die librarii (Buchhalter u. Rechnungsführer), die exactores (Schreiber), und die armorum custodes (Arsenalmeister der Centurie). Zu den höher stehenden duplicarii (= triplicarii?) gehörten die optiones (Stellvertreter des Centurio), die aquiliferi (Adlerträger), die imaginiferi (Träger der Kaiserbilder), die signiferi (Feldzeichen-träger), sowie hohe Stabssoldaten. Später kamen noch die draconarii dazu (Träger der Drachenstandarten).

   Zur Schicht der principales gehörten außerdem die beneficiarii (Soldaten für Sonder-aufgaben), die frumentarii (Spezialsoldaten für die Langstreckenversorgung, später auch als geheime Militärpolizei o. sogar Assassinen tätig), sowie für jedes Manipel ein tubicen (Tuba) und ein cornicen (Hornist). Zu den principales gehörten außerdem noch einige weitere Ränge und Posten, doch ist deren Zugehörigkeit nicht immer klar (zu den ‚Unteroffizieren’ und ihren Privilegien vgl. auch Vegetius 7, 2).

 

d) Privilegierte Spezialsoldaten (immunes)

   Unterhalb der principales, aber noch über den einfachen Soldaten, standen die immunes. Dies zählten sich vielleicht zu den principales, erhielten aber nur den einfachen Grundsold.  Wegen ihrer handwerklichen Spezialkenntnisse und für Sonderaufgaben waren sie aber vom Grunddienst und seinen schweren und besonders unangenehmen Arbeiten befreit. Nach einem Fragment des Tarruntenus Paternus vom Ende des 2.Jh. (Dig. 50, 6, 7), gehörten die folgenden Spezialisten zu diesen ‚Schwerdienstbefreiten’:

 Mensores (Vermessungsfachleute f. Gelände o. Schüttgut), optio valetudinarii (Lazarettleiter), medici (Ärzte), capsarii (Sanitäter), et artifices (Kunsthandwerker?) et qui fossam faciunt (Spezialisten für Grabenaushub), ueterinarii (Tierärzte), architectus (Baumeister), gubernatores (Steuerleute), naupegi (Schiffsbauer), ballistrarii (Geschütz-bedienung u. Geschützmechaniker), specularii (Glas-/Spiegelmacher), fabri (Schmiede o. Handwerker allgemein), sagittarii (eher Pfeilmacher als Bogenschützen!), aerarii (Kupferschmiede), bucularum structores (Posaunenmacher), carpentarii (Wagner), scandularii (Schindeldecker), gladiatores (Schmiede f. Schwerter?), aquilices (Wasser-bautechniker), tubarii (Trompetenmacher), cornuarii (Signalhörnermacher), arcuarii (Bogenmacher), plumbarii (Bleigießer), ferrarii (Eisenschmiede), lapidarii (Steinmetze), et hi qui calcem cocunt (Kalkbrenner), et qui siluam infidunt (Holzhacker), qui carbonem caedunt ac torrent (Köhler). In eodem numero haberi solent (in dieselbe Kategorie fallen gewöhnlich) lani (Metzger), uenatores (Jäger), uictimarii (Opferdiener), et optio fabricae (Werkstattsleiter), et qui aegros praesto sunt (‚die den Kranken vorstehen’ – Kranken-pfleger?), librarii quoque qui docere possint (Buchführer die ausbilden?), et horreorum librarii (Buchführer der Nachschubdepots), et librarii depositorum (‚Sparkassen-buchhalter’), et librarii caducorum (Verwalter des Gefallenennachlasses), et adiutores cornicularicorum (Kanzleigehilfen), et stratores (Pferdeknechte), et polliones (unklar, folgende Möglich-keiten: Sprachlehrer, Leichenbestatter, Walker, Waffenpolierer oder Zureiter?), et custodes armorum (Arsenalmeister der Centurie), et praeco (Herold?), et bucinator (Trompeter). Hi igitur omnes inter immunes habentur (diese alle werden also zu den vom schweren Dienst befreiten gezählt).“

 

 

e) Einfache Soldaten (gregales)

   Die unterste Schicht der Legion bestand schließlich aus den milites gregarii, bzw. gregales, die die ‚Herde’ (grex) stellten, also die große Masse der Legion. Sie erhielten nur den einfach Grundsold und mussten außerdem den normalen schweren Wehrdienst mit seinen harten und unangenehmen Aufgaben (munera) ertragen, weshalb sie auch munifices genannt wurden (Sg. munifex). Zum munus gehörten: Wache schieben, Gräben ausheben, Arbeiten im Steinbruch, das Transportieren von Baumaterial, Holz hacken. Dazu kamen noch ‚anrüchige’ und gesundheitlich nicht ungefährliche Arbeiten wie Wände mit Kalk verputzen oder die Latrinen reinigen. Für einige dieser Aufgaben gab es allerdings auch immunes (s.o.), vielleicht als eine Art privilegierte Vorarbeiter?

   Bei den einfachen Soldaten war Caracalla nicht nur wegen seiner Spendierfreudigkeit (auf Kosten der Reichsbevölkerung) sehr beliebt, sondern weil er auch persönlich bei allen anstrengenden und erschöpfenden Arbeiten mit anpackte, und bei den Schanzarbeiten immer als erster zum Spaten griff (Cassius Dio, 78, 13, 1; Herodian 4, 7, 4).

 

   Unter den milites gregarii kam noch die Schicht der unfreien Militärsklaven, zu denen beispielsweise die calones (Trossknechte) gehörten. Privatsklaven gab es allerdings auch.

 

Die personelle Gliederung der Legion sieht insgesamt folgendermaßen aus:

1 legatus legionis (= für die III Ital der Statthalter Raetiens)

1 tribunus militum laticlavius, und evtl. 1 primipilus iterum

1 praefectus castrorum legionis bzw. praefectus legionis

5 tribuni militum angusticlavii

5 centuriones der ersten Kohorte (= centuriones primi ordinis): primuspilusprincepshastatusprinceps posteriorhastatus posterior

54 centuriones der 2.-10. Kohorte

principales – entweder triplicarii, duplicarii oder sesquiplicarii (Sold 3 x, 2 x oder 1,5 x)

immunes (Spezialisten mit Grundsold aber von niederen Arbeiten befreit)

milites gregarii (Grundsold ohne Befreiung von niederen Arbeiten)

calones (Trossknechte) u.a. Bedienstete/Sklaven

 

 

 

Florian Himmler